Christian Fuchs: “Sender und Verlage müssen gemeinsam recherchieren, um Verfehlungen aufzudecken”
19.03.2014 von Andreas M.
Fast hätte Christian Fuchs heute den Grimme-Preis gewonnen. Zusammen mit seinen Kollegen vom NDR war er für Berichte über den „geheimen Krieg“, den die US-amerikanischen Geheimdienste in Deutschland führen, nominiert. Vielleicht gewinnt er dieses Jahr aber noch den Henri Nannen Preis – denn auch hier ist Fuchs nominiert.
WILD-Redakteur Andreas Maisch hat Christian Fuchs interviewt.
WILD: Hattest du erwartet, für den Grimme-Preis nominiert zu werden, als du deine Recherche begonnen hast?
Christian Fuchs: Als wir vor sieben Jahren auf das Thema gestoßen sind, habe ich gar nicht erwartet, etwas zu finden, um ehrlich zu sein. An den Grimme-Preis hatte ich keine Sekunde gedacht. Welchen Einfluss unsere Recherche hatte, habe ich realisiert, als sich Barack Obama aufgrund unserer Recherchen kritisch geäußert hat. Da haben wir gemerkt, dass wir auf einen wunden Punkt gestoßen waren. Der Grimme-Preis wäre natürlich das I-Tüpfelchen für unsere Recherche.
WILD: Wie groß schätzt du deine Chancen ein, den Grimme-Preis zu gewinnen?
Christian Fuchs: Wir recherchieren gerade schon neue Themen. Es ist nicht so, dass wir bei der Bekanntgabe der Gewinner mitfiebernd vor dem Telefon sitzen werden. Es ist nichts, wo unser Herz stehen bleibt. Wenn wir den Preis gewinnen sollten, würde ich zuerst denken: ‚Wo kriege ich, verdammt nochmal, einen Smoking her?’ Den bräuchte ich dann wohl für die Preisverleihung.
“Auf die Lokalzeitungen, die das Thema weiterrecherchiert haben, sind wir stolz”
WILD: Wie zufrieden bist du mit dem Feedback anderer Medien?
Christian Fuchs: Es gab sehr unterschiedliche Reaktionen. Wir waren etwas überrascht, dass einige große Medien sich bei dem Thema zurückgehalten haben. Andererseits sind einige Lokalzeitungen, besonders aus Baden-Württemberg und Hessen, in das Thema eingestiegen. Auf die Lokalzeitungen, die das Thema weiterrecherchiert haben, sind wir stolz.
WILD: Wie lange hast du mit deinen Kollegen an dem Projekt recherchiert?
Christian Fuchs: Wir haben vor sieben Jahren begonnen. Wenn man jeden Tag zusammenzählt, haben wir über zwei Jahre nichts anderes gemacht als an dem Thema zu recherchieren. Unser Team wurde immer größer. Die Süddeutsche kam dazu, dann Radio-Kollegen vom NDR. Am Ende waren wir über zwanzig Leute.
WILD: Was war der größte Recherche-Erfolg?
Christian Fuchs: Dass die „Hauptstelle für Befragungswesen“, die seit fast 60 Jahren Asylbewerber aus Krisenregionen ausgehorcht hatte, geschlossen wurde. Die Hauptstelle gehörte zum Bundesnachrichtendienst (BND). Es passiert selten, dass die Bundesregierung direkt nach einer Veröffentlichungen handelt.
WILD: Gibt es nicht schon längst wieder einen Ersatz für diese Dienststelle?
Christian Fuchs: Es wäre naiv, zu glauben, der Bundesnachrichtendienst würde die Asylbewerber nicht mehr als Quellen gewinnen wollen. Flüchtlinge sind eine wichtige Quelle. Wir gehen davon aus, dass der BND diese Befragungen nun auf andere Weise organisiert.
WILD: Wie geht man bei Recherchen zu Geheimdiensten am besten vor?
Christian Fuchs: Wenn man einmal weiß, wie man an Dokumente kommt, ist es gar nicht so entscheidend, zu welchem Thema man recherchiert. Das ist immer recht ähnlich. In diesem Fall kam uns zu Hilfe, dass alle Dinge, die in den Vereinigten Staaten mit Steuergeldern bezahlt werden, öffentlich sind. Man muss nur wissen, wo man diese Dinge findet und die Codes verstehen, mit denen versucht wird, Informationen zu verschleiern. Wenn man zum Beispiel weiß, wie Dienstgrade abgekürzt werden, findet man in den sozialen Netzwerken Nutzer, die beim NSA arbeiten.
WILD: Und was hat dich bei der Recherche am meisten überrascht?
Christian Fuchs: Am wenigsten hätte ich damit gerechnet, dass der völkerrechtswidrige US-amerikanische Drohnenkrieg von deutschem Boden aus mitgeplant und gesteuert wird. Es hat mich geschockt, dass amerikanische Einheiten in Deutschland in die Hinrichtungen aus der Luft involviert sind.
WILD: Wurdet ihr während eurer Recherchen auch bedroht?
Christian Fuchs: Ein Kollege bekam einen Anruf. Ihm wurde gesagt: ‚Passen Sie auf, was Sie tun. In Guantanamo ist immer noch ein Platz frei.’ Überall, wo wir waren, wurden wir von deutschen Polizisten angehalten und unserer Personalien notiert. Wir wurden eingeschüchtert, aber waren nicht in wirklicher Gefahr.
Bis zu 70 Prozent von Fuchs Informationen stammen aus öffentlich zugänglichen Quellen
WILD: Was können andere Journalisten aus eurer Recherche lernen?
Christian Fuchs: Sie können lernen, wie wichtig es ist, die Daten, die schon da sind, zu finden und zusammenzuführen. 60 bis 70 Prozent unserer benutzten Informationen und viele unserer Geschichten sind aus öffentlich zugänglichen Quellen entstanden. Wenn man sich Zeit nimmt, können diese Informationen zu großen Geschichten führen.
Und die Medienhäuser können daraus lernen, dass die Zukunft absolut im kollaborativen Journalismus liegt – dass also nicht mehr eine kleine Redaktion oder ein Medienhaus alleine große Enthüllungen schafft. In der globalen Welt geht es nicht mehr ohne Kooperationen. Sender und Verlage müssen gemeinsam recherchieren, um globale Verfehlungen aufzudecken.
WILD: Steht dein nächstes großes Projekt schon fest?
Christian Fuchs: Ja, ich habe Ideen für neue Recherchen. Vielleicht wird es etwas Überraschendes, was gar nicht in Richtung Geheimdienste geht, aber trotzdem gesellschaftlich relevant ist.
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